" Ich kann das nicht beurteilen, weil ich zu wenig Ausländerinnen in Algerien kenne. Du darfst das aber auch nicht missverstehen, ich habe keinen Anpassungsprozess durchlaufen, der in der Verleugnung meiner eigenen Wurzeln endete."
Ich habe auf keinen Fall gemeint, dass du deine eigene Wurzeln verleugnet hast. Man kann die Gesellschaft, in der man lebt, verstehen, wenn man die Bereitschaft dazu besitzt. Dies ist aber nicht selbstverständlich. Ich kenne einige Beispiele von Menschen, die in Algerien lebten und teilweise immer noch leben, die diese Bereitschaft nicht haben. Dies gilt übrigens für einen Teil der Algerier in Europa. Meistens ist es so, dass viele, die u. a. den "Empfang" hier nicht bekommen, den sie sich erwünscht hatten, als Folge sich abkapseln. Sie idealisieren dann eine Gesellschaft, in der sie aber trotzdem nicht mehr leben möchten. Es gibt sicherlich parallelen. Für mich geht es in diesem Fall um ähnliche Charaktere, deren Essenz, darin besteht, hauptsächlich nach den negativen Seiten der Gesellschaft, wo man gelandet ist, zu suchen. Und ohne Zweifel sind sie leicht zu finden. Ob beispielsweise in Algerien oder in Deutschland. Fazit ist, dass diese Art von Menschen unter anderem Überheblichkeit und Verbitterung als neue Charakterzüge "erntet". Das finde ich schade.
Nun hätte ich eine Frage. Denkst du, dass die Menschen, die in einem autoritären System, wie es in Algerien und der ehemaligen DDR war, Gemeinsamkeiten aufweisen ?
„Nun hätte ich eine Frage. Denkst du, dass die Menschen, die in einem autoritären System, wie es in Algerien und der ehemaligen DDR war, Gemeinsamkeiten aufweisen ?“
Das ist eine interessante Frage! Kennst Du Syrien? Hättest Du gefragt, ob Menschen aus Syrien und der ehemaligen DDR Gemeinsamkeiten aufweisen, dann hätte ich spontan und ohne viel nachzudenken JA gesagt. Wenn mein Arabischlehrer oder syrische Freunde meiner Generation über ihr Land oder ihr Leben sprechen, dann habe ich oft den Eindruck mich mit Leuten aus der DDR zu unterhalten. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen erschienen mir sehr vertraut. Ich denke, dass der Sozialismus syrischer Prägung, dem in der DDR viel ähnlicher war als der Sozialismus algerischer Prägung. Die Menschen aus Syrien und der DDR lebten relativ isoliert vom Westen. Beide kamen nur begrenzt mit dem Westen in Berührung. Ich glaube, dass Algerien nie so abgeschottet war und unter anderem auch deshalb anderen Einflüssen unterlag.
Wenn man das näher untersuchen könnte, dann würde man sicher auch zwischen Menschen aus Algerien und der ehemaligen DDR Gemeinsamkeiten entdecken, die aufgrund ähnlicher bzw. gleicher Erfahrungen entstanden.
Ich hatte in Algerien auch oft den Eindruck, dass die Zeit des Kolonialismus die Menschen wesentlich stärker prägte, als die darauffolgende sozialistische Ära. Oder irre ich mich da?
Grundsätzlich denke ich, dass ähnliche Erfahrungen auch ähnliche Verhaltensmuster erzeugen.
„Kennst Du Syrien? Hättest Du gefragt, ob Menschen aus Syrien und der ehemaligen DDR Gemeinsamkeiten aufweisen, dann hätte ich spontan und ohne viel nachzudenken JA gesagt „ Ich kenne Syrien leider nicht, Syrer aber schon. Ich habe sie vor allem als Lehrer in Algerien gehabt. Wenn du aber nun darüber gerade sprichst, glaube ich mich zu erinnern, dass das politische System bei ihnen oft einen Bestandteil ihrer Persönlichkeit darstellte und stark verwurzelt schien. So kann ich deine Aussage im Bezug auf Syrien besser nachvollziehen. „Ich hatte in Algerien auch oft den Eindruck, dass die Zeit des Kolonialismus die Menschen wesentlich stärker prägte, als die darauffolgende sozialistische Ära“ Da hast du sicherlich recht. Der Kolonialismus prägt bis heute vor allem die politische Landschaft in Algerien. Es wird oft missbraucht, teilweise als mobilisierendes Mittel (mit sinkender Wirkung) die Massen im Lande zusammenzuhalten. Der Kontakt und die Öffnung nach Europa begannen bereits ab dem ersten Weltkrieg. Es gibt kaum einen Algerier bzw. AlgerierIn, der/die keine Verwandte in Frankreich hat. Das Verhältnis zu Frankreich ist eine Hass-Liebe Beziehung bis heute.
„ Grundsätzlich denke ich, dass ähnliche Erfahrungen auch ähnliche Verhaltensmuster erzeugen.“ Darauf wollte ich auch kommen. Sind Menschen, die in einer „Diktatur“ aufgewachsen sind, anfälliger für radikale Ansichten ? Verursacht Pluralität, wenn sie plötzlich entsteht, eher Orientierungslosigkeit ? Das sind einige Fragen, die mir stelle, ohne dabei eine absolute Aussage daraus machen zu wollen. Denn mir geht es darum Tendenzen zu erkennen.
„Ich kenne Syrien leider nicht, Syrer aber schon. Ich habe sie vor allem als Lehrer in Algerien gehabt. Wenn du aber nun darüber gerade sprichst, glaube ich mich zu erinnern, dass das politische System bei ihnen oft einen Bestandteil ihrer Persönlichkeit darstellte und stark verwurzelt schien. So kann ich deine Aussage im Bezug auf Syrien besser nachvollziehen.“
Ja, dass kann man so sagen. In den 70er Jahren waren die Syrer eher sozialistisch, jetzt orientieren sie sich wieder mehr an ihren Religionen.
„Grundsätzlich denke ich, dass ähnliche Erfahrungen auch ähnliche Verhaltensmuster erzeugen.“ 1. Darauf wollte ich auch kommen. Sind Menschen, die in einer „Diktatur“ aufgewachsen sind, anfälliger für radikale Ansichten ?“
Das möchte ich nicht unbedingt so stehen lassen. Im Westen gab es auch immer irgendwelche radikale Gruppierungen. Sei es nun die RAF; die Neonazis, die es bereits vor der Wiedervereinigung gab; der Ku-Klux-Klan in den USA usw.
„2.Verursacht Pluralität, wenn sie plötzlich entsteht, eher Orientierungslosigkeit ? Das sind einige Fragen, die mir stelle, ohne dabei eine absolute Aussage daraus machen zu wollen. Denn mir geht es darum Tendenzen zu erkennen.“
Orientierungslosigkeit entsteht mit Sicherheit bei vielen Menschen, die sich in irgendeine Richtung neu orientieren müssen. In der DDR zum Beispiel kannte man keine Arbeitslosigkeit. Für viele Menschen war das eine völlig neue Erfahrung. Jugendliche die mit einem festen Ausbildungsplatz nach der Schule rechneten standen möglicherweise plötzlich leer da. Sie konnten sich auch nicht auf die Erfahrungen ihrer Eltern, Geschwister, Verwandte und Freunde stützen, um nur einige mögliche Beispiele zu nennen. Eine ganze Gesellschaft musste sich plötzlich einer völlig unbekannten Herausforderung stellen. Ich stelle mir das viel schwieriger vor, als wenn ein einzelnes Individuum in eine fremde Gesellschaft, zum Bspl. von Ost nach West übersiedelt. Manchen wird es wohl den Boden unter den Füßen weggezogen haben. Ich kenne sogar Menschen, die sich das Leben genommen haben, weil sie mit der Welt nicht mehr klar kamen.
Es wird viel darüber diskutiert, dass soziale Probleme eine Ursache für Radikalität sein könnten. Wir wissen aber auch, dass die geistigen Brandstifter oft in gesicherten Verhältnissen leben. Ich denke, dass es für diese geistigen Urheber zumindest einfach ist ihre Anhänger in sozial schwachen Milieus und bei orientierungslosen Menschen zu rekrutieren. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, dass sie einfache Erklärungsmuster für ihre Probleme suchen. Das findet man bei den meisten radikalen Gruppen.
Ich habe oft über Ähnlichkeiten zwischen jugendlichen Neonazis in Deutschland und radikalen Jugendlichen in Algerien nachgedacht. Und ich vermute, dass es durchaus Parallelen geben könnte.
„ 1. Darauf wollte ich auch kommen. Sind Menschen, die in einer „Diktatur“ aufgewachsen sind, anfälliger für radikale Ansichten ?“ „ Das möchte ich nicht unbedingt so stehen lassen. Im Westen gab es auch immer irgendwelche radikale Gruppierungen. Sei es nun die RAF; die Neonazis, die es bereits vor der Wiedervereinigung gab; der Ku-Klux-Klan in den USA usw. “
Mit meiner Fragestellung wollte ich nicht die Radikalität als Monopol der ehemaligen sozialistischen Ländern darstellen. Damit meinte ich eher die Schwierigkeit, sich auf ein pluralistisches System einzustellen und die möglichen Konsequenzen davon. Mir sind die Fehlenmtwicklungen und die Leichtigkeit andere zu verurteilen im westlichen Welt bewusst. Ich wollte nun zuerst die ehemaligen „Diktaturen“ ansprechen, ohne dabei alles dort schwarz zu sehen. Deutschland ist dabei fast ein spezieller Fall, dass es hier um eine Vereinigung gekommen ist. Ich sage bewusst nicht „Wiedervereinigung“. Denn Wiedervereinigung macht nur Sinn für die Leute, die Trennung kennengelernt haben und darunter gelitten haben. Ich kenne teilweise die Probleme, die nach der schnellen Vereinigung (mit allen ihren psychologischen Folgen) entstanden sind. Es sind sicher viele Menschen, die daran gestorben sind oder sich aufgegeben haben. Die Arbeitslosigkeit, die du angesprochen hast, ist sicher ein sehr wichtiger Punkt. Ich habe viele Menschen aus der ehemaligen DDR in manchen therapeutischen Einrichtungen für Suchtkranke kennengelernt, wo ich tätig war. Das waren oft hoch intelligenten Menschen, die sicher unter anderen Umständen, sehr produktiv für ihre neue Gesellschaft hätten werden können. Ich finde es bis heute noch schade, dass die „freien“ Medien selten viele Worte darüber verlieren. Wenn du nun speziell auf die ehemalige DDR eingegangen bist, stelle ich die Frage vielleicht ein bisschen anders. Wie kannst du die Charaktere der Menschen aus beiden Landesteilen kurz nach der Vereinigung beschreiben ? wo waren die Gemeinsamkeiten und wo die Unterschiede ? Danach können wir ruhig nach Algerien gehen, um die Entwicklung dort und die möglichen Parallelen anzusprechen.
ich hoffe, ich darf mich einmischen. ich bin ja so eine "vereinigte". es hängt auf alle fälle auch vom alter ab, wie man sich in so einer veränderten situation verhält. ich selbst bin, finde ich, sozusagen im perfekten augenblick vereinigt worden. ich glaube, wenn man das leben in der ddr als erwachsener kennengelernt hat, war es schwieriger, sich an die brd anzupassen.
was mich hier im "westen" stört, bzw. was mir auffällt, dass die leute oberflächlicher sind. ich wohne jetzt schon 11 jahre im westen, aber habe nur eine "wessi-freundin". alle anderen freunde und bekannten, die ich habe, sind ausländer oder ossis.
die radikalisierung vieler menschen, vor allem jugendlicher, sehe ich im fehlen von aufgaben und führungspersonen. das leben im osten ist einfach immer noch anders als im westen. die ddr wirkt immer noch nach. die neonazis bieten vieles, was sich die leute wünschen. die brd kann natürlich kein kindergarten sein, aber es ist hier schon so, dass man sich zu wenig um die jugendlichen kümmert. und wenn man hier arbeitsmäßig erstmal abstürzt....
"Mit meiner Fragestellung wollte ich nicht die Radikalität als Monopol der ehemaligen sozialistischen Ländern darstellen."
Ich habe auch nicht daran gedacht, dass du die Radikalität als Monopol der ehemaligen sozialistischen Länder hättest darstellen wollen.
Ich bin mit dir einverstanden, dass es richtiger wäre von Vereinigung zu sprechen.
Deine Frage nach den Charakteren der Menschen nach der Vereinigung kann ich wenn überhaupt nur über einen Umweg beantworten. Zum Zeitpunkt der Vereinigung habe ich bereits etwas über drei Jahre im Westen gelebt und davor vier Jahre in Algerien. Deshalb ist es mir lieber zu schreiben, welchen Eindruck ich hier im Westen hatte. Der spezifische DDR-Mensch ist meinem Erinnerungsvermögen etwas entglitten.
Zunächst einmal waren wir aus der DDR vor der Wende willkommen und oberflächlich gesehen waren alle sehr sehr freundlich und hießen uns willkommen, fragten nach dem woher und wohin.
Beim näheren Hinsehen machten die zwischenmenschlichen Beziehungen einen oberflächlichen Eindruck auf mich. Ich fand es sehr merkwürdig, dass man sich nicht einfach nach Lust und Laune besucht, sondern vorher eine Verabredung trifft. Bei uns in der DDR war es normal, dass man sich auch spontan besuchte.
Ich glaube hier im Westen finden viele Kontakte auf der Vereinsebene statt, nicht unbedingt in den privaten vier Wänden.
Ich hatte auch den Eindruck, dass viele Leute hier „Schauspielunterricht“ genommen haben müssten. Viele Menschen schienen sich in einer übertriebenen Art und Weise in der Öffentlichkeit darzustellen,
Ich habe ganz normale Gespräche, ohne dass man sich ständig verbiegen und verrenken muss vermisst.
Ich fand die überengagierten Kindergartenmütter, die alle kleine Genies hatten schrecklich, denn ich hatte „nur“ ganz normale Kinder, die auch mal was kaputt gemacht haben und vielleicht auch mal nicht ganz so brav waren.
Erstaunlich fand ich auch, dass ich häufig, ein für meinen Geschmack etwas unterwürfiges Verhalten mancher Leute gegenüber Vorgesetzten oder anderen vermeintlich höher gestellten Personen oder auch Frauen gegenüber ihren Männern feststellte.
Dann kam die Widervereinigung und nach der ersten Euphorie hatte man den Eindruck, dass man als „Ossi“ dem „Wessi“ beweisen musste, dass man auch des Lesens und Schreibens kundig war.
Ich möchte aber noch auf deine Frage bzgl. der Schwierigkeit sich auf ein pluralistisches System einzustellen sagen. Trotz aller gewollten Gleichmacherei in der DDR; waren die Menschen meiner Meinung nach weniger homogen als man vielleicht vermuten könnte.
Wie Waharania auch sagte, hängt es auch vom Alter ab, aber auch von der Persönlichkeit des einzelnen Menschen, wie eine so radikale Umstellung erfolgt.
Gemeinsam scheint uns Deutschen in Ost und West zu sein, dass wir manche Dinge viel zu negativ sehen und gern über unser Schicksal und manchmal auch nur über unser vermeintlich schlechtes Schicksal jammern. Der Wessi klagt darüber, dass der Ossi ihm ein Stück vom Kuchen klaut und gemeinsam klagen wir darüber, dass uns andere ein Stück vom Kuchen klauen.
wir führen keine Privatunterhaltung, du kannst gern mitreden.
Die DDR und die Erfahrungen aus dieser Zeit werden noch lange nachwirken. Normalerweise gehen gesellschaftliche Veränderungen nur sehr sehr langsam vonstatten. Wir hatten einen Wandel quasi über Nacht und nicht alle Menschen können mit diesem Thempo Schritt halten.
Für meine Kinder ist die DDR Geschichte. Aber für die Menschen, die sie erlebt haben, wird sie immer ein Teil ihrer Identität bleiben, auch wenn mancher das nicht wahrhaben will. Wir sind nun mal auch ein Produkt unserer Erfahrungen.
Hallo Salima, (da ein Termin ausgefallen ist, schreibe ich heute ausnahmsweise vom Büro)
deinen Beitrag fand ich sehr interessant. Um noch Mal auf Pluralismus und seine möglichen Folgen zurückzukommen, habe ich im Hinterkopf mehr als Deutschland (das sich durch die Vereinigung ein Bisschen vom Rest abweicht). Ich dachte eher an einige ehemalige „Ostblockländer“ zusätzlich aber auch an einige so genannte „Blockfreien“ Ländern mit einer Neigung zum Ostblock wie das ehemalige Jugoslawien, Algerien und einige weitere vor allem afrikanische Länder. Da dein Beitrag so interessant war, und im Zusammenhang mit anderen Beiträgen in diesem Forum sei, gehe ich nun auf einige deiner Aussagen. „Beim näheren Hinsehen machten die zwischenmenschlichen Beziehungen (in der BRD) einen oberflächlichen Eindruck auf mich. Ich fand es sehr merkwürdig, dass man sich nicht einfach nach Lust und Laune besucht, sondern vorher eine Verabredung trifft. Bei uns in der DDR war es normal, dass man sich auch spontan besuchte.
"Ich glaube hier im Westen finden viele Kontakte auf der Vereinsebene statt, nicht unbedingt in den privaten vier Wänden.“ Dies erinnert mich an eine Frage, die Bavarois in einem anderen Topic gestellt hatte.
( bin seit 17 Jahren in Deutschland, habe aber kaum deutsche Freunde! Ich hab' den Eindruck, sie halten Abstand von Ausländern im Allgemeinen. Ausländer bleiben dann unter sich. Mein einziger Freund ist ein deutscher Muslim, den ich seit etwas 20 Jahren kenne. Ich habe auch den Eindruck, dass die Freundschaft bei den Deutschen nicht den gleichen Wert wie bei uns hat. Die Leute sind hier "kühler" irgendwie. Es liegt bestimmt auch am Klima. Es fehlt ihnen einfach an menschliche "Wärme" ) Bavarois im Topic „Freundschaft haben sie Gesagt“ vom 18.06.07
„Freunde braucht man, wenn man in Schwierigkeiten gerät. Die Frage, die sich stellt, wie weit kann sich ein deutscher Freund engagieren? Kann er genau so wie ein algerischer Freund sein? Welche Opfer ist er bereit, zu bringen? Kann er das überhaupt? Es geht nicht um die Zahl der Freunde. Du kannst viele sozusagen Freunde haben, sobald Du sie brauchst, findest Du niemanden oder wenige, um Dir beizustehen.“ (ebenso Bavarois im selben Topic))
Eine Antwort darauf könnte unter anderem die Aussage von dir: „Ich glaube hier im Westen finden viele Kontakte auf der Vereinsebene statt, nicht unbedingt in den privaten vier Wänden.“
Interessant von dir fand ich die Feststellung: „ Ich habe ganz normale Gespräche, ohne dass man sich ständig verbiegen und verrenken muss vermisst.“ Unter normal bzw. anormal, könnte es sein, dass die Menschen im Westen, sich mehr, mit dem, was sie besitzen, identifizieren, als mit dem, was sie selbst in der Realität sind? Oder ist es eine falsche Interpretation von mir? Interessant fand ich auf jedem Fall, dass das, was du im Westen vermisst, Ähnlichkeiten mit dem „Vermissten“ der Algerier aufweist. Dies höre ich nicht zum ersten Mal von Menschen, die aus dem ehemaligen Ostblock stammen.
„ Erstaunlich fand ich auch, dass ich häufig, ein für meinen Geschmack etwas unterwürfiges Verhalten mancher Leute gegenüber Vorgesetzten oder anderen vermeintlich höher gestellten Personen oder auch Frauen gegenüber ihren Männern feststellte.“
Diese Aussage kann ich nur unterstreichen. Dies war für mich die größte Überraschung, die ich im Westen Deutschlands erlebt habe. Ich hätte nie gedacht, dass in einem Land, wo so viele Freiheit vorhanden ist und Möglichkeiten sich zu wehren, so viele Menschen sich so unterwürfig verhalten können. Denn das schlimme dabei ist sicherlich bei nicht regelkonformen Verhalten festzustellen. Da ist vielen Menschen wichtiger dem Vorgesetzten zu gehorchen als regelkonform zu handeln und/oder Missstände zu korrigieren bzw. aufzudecken. Diese Angst habe ich bis heute noch nicht verstanden. Sie widerspricht sich mit den zur Verfügung stehenden Gründrechten in Deutschland. Die sicherlich ernst gemeint sind aber von denen (aus meiner Sicht) wenig Gebrauch gemacht wird. Man will eher seine Ruhe haben. Ich weiß zwar nicht „wie viel“ Menschen davon betroffen sind, ich habe aber relativ viele „davon“ erlebt.
Nun ist meine „gezwungene Pause“ und nicht regelkonformes Verhalten zu Ende Gruß und Salam
ich hätte auch gern über andere Ostblockländer und andere Staaten mit ähnlichen Strukturen gesprochen. Ich befürchte aber, dass sich das zu sehr im Bereich des spekulativen bewegen könnte. Ich hatte bzw. habe Kontakt zu einigen Leuten aus diesen Ländern, befürchte aber doch zu wenig von ihnen zu wissen und würde wohlmöglich eher Klischees bedienen. Was bei diesem Thema leicht passiert. Von daher erwarte ich eigentlich mit Spannung Deinen Beitrag über Algerien bzw. die Algerier.
Du hast einige Beiträge von Bavarois eingefügt. Richtig, eine Antwort darauf könnte sein, dass viele Kontakte auf Vereinsebene stattfinden oder mit Kollegen Essen; Kegeln oder sonst etwas gehen. Manche Leute wollen auch einfach nur im privaten Bereich ihre Ruhe haben. Als Beispiel nenne ich eine Kollegin, mit der ich seit fast 10 Jahren vieles gemeinsam teile, d. h. zwischen uns gibt es eigentlich kein Tabuthema und wir vertrauen einander grenzenlos. In den 10 Jahren war sie etliche Male bei mir zu Hause. Meist besuchte sie mich in der Mittagspause, wenn ich frei hatte. Ich war ein einziges Mal bei ihr zu Hause!!! Sie denkt sich bestimmt nichts böses, da bin ich mir sicher! Ich höre von vielen Menschen, dass sie nach der Arbeit oder zu Hause grundsätzlich ihre Ruhe wollen. In den meisten Fällen hat das sicher nichts damit zu tun, ob jemand Ausländer ist oder nichts. Die Leute sind einfach so. Vielleicht ist das eine Folge von einem relativen Wohlstand? Die Arbeit allein kann es meiner Meinung nach nicht sein.
„ Interessant von dir fand ich die Feststellung: „ Ich habe ganz normale Gespräche, ohne dass man sich ständig verbiegen und verrenken muss vermisst.“ Unter normal bzw. anormal, könnte es sein, dass die Menschen im Westen, sich mehr, mit dem, was sie besitzen, identifizieren, als mit dem, was sie selbst in der Realität sind? Oder ist es eine falsche Interpretation von mir?“
Du hast das richtig interpretiert. Ich bin der Ansicht, dass man sich hier im Westen eher über seinen Besitz definiert. Außerdem habe ich den Eindruck, dass viele Menschen verbal vorgeben Fähigkeiten zu besitzen bzw. erlangen zu wollen, die beim näheren Hinsehen nicht oder nur wenig der Realität entsprechen.
Das was das unterwürfige Verhalten betrifft, war für mich absolut unfassbar und wird wohl immer unbegreiflich bleiben. Das Paradoxe ist, dass diese Leute keinen wirklichen Respekt von den vermeintlich über ihnen stehenden Personen erfahren.
Hallo Salima, Was Algerien angeht: beginnen tue ich mit einem Zitat von mir aus einem anderen Forum, das einiges zusammenfasst, was ich sonst viel länger beschreiben sollte. „ Wenn jemand schwer krank ist und stellt fest die Schulmedizin kann ihm nicht mehr helfen dann wird er sich an irgendeinen Charlatan wenden, mit der Hoffnung er könnte ihn retten. Seine Reaktion ist verständlich und nachvollziehbar. Dies ein plastisches Beispiel. Nun könnte man es auf eine Bewölkerung überall auf der Welt übertragen. Dann könnte man bestimmte radikale Entwicklungen vielleicht besser verstehen. ...... Eine echte Demokratie braucht mündige und gebildete Bürger. Soweit ist aus meiner Sicht kein Land dieser Erde, alle sind von Radikalität bedroht. Wenn es vor allem (relativ schnell) wirtschaftlich schlecht gehen sollte, ist aus meiner Sicht jedes Land durch Radikalismus gefährdet. Ob es heute in einem demokratischen System oder in einer Diktatur. „
Übertragen auf Algerien, ist es der Fall ab Ende der achziger Jahren. Es ist ja bekannt, dass die algerische Wirtschaft nur auf einen Standbein stand und bis heute noch steht. Dieser Standbein (Erdöl und Erdgaseinnahmen) war sehr sehr wackelig Ende der achtziger, dazu kam der Zusammenbruch der ehemaligen Udssr, der ein politisches Vaakum verursacht hatte. Kam dann die Zeit der Charlatanen, ohne dabei die damalige „sozialistische Regierung“ mit der „Schulmedizin“ zu vergleichen. Der Rest ist ist ja bekannt. Die Rückkehrer aus Afganistan, die an eine Co-Produktion USA-Saudi-Arabien teilgenommen hatten, und die ihren dort gelernten „Beruf“ in Algerien weiter ausüben wollten usw. Dies ist in Kurzform und in einer sehr vereinfachten Art der Weg zum Radikalismus in Algerien.
„ Wenn jemand schwer krank ist und stellt fest die Schulmedizin kann ihm nicht mehr helfen dann wird er sich an irgendeinen Charlatan wenden, mit der Hoffnung er könnte ihn retten."
Dieses im Beispiel ist ein "gutes Werkzeug" und erleichtert vermutlich schwierige Erklärungsversuche. Danke, ich werde es bestimmt nutzen.
"Eine echte Demokratie braucht mündige und gebildete Bürger........Wenn es vor allem (relativ schnell) wirtschaftlich schlecht gehen sollte...."
Ich habe mal in einem Gespräch erwähnt, dass eine Demokratie ein gewisser "Luxus" ist, den sich nicht jeder leisten kann. Solange es einem großen Teil der Bevölkerung gut geht, kann man sich Demokratie leisten. Ich behaupte mal auch wenn es allmählich wirtschaftlich bergab geht, gelangt jedes Land irgendwann an einem Punkt, wo das ganze kippt. Historisch gesehen ist das nichts neues, Revolutionen und Aufstände wurden doch in der Regel in der Not geboren und nicht weil es den Menschen so gut ging.
"Übertragen auf Algerien, ist es der Fall ab Ende der achziger Jahren."
Ich hatte den Eindruck, dass begann weniger offensichtlich schon früher. Zwischen 82 und 85 hatte ich mehrfach in der algerischen Presse etwas von "Afghanen" gelesen, die nach Algerien zurückkamen. Ich fragte mich immer, wer denn die Afghanen seien und was die wollen. Ich hatte auch gelesen, dass das damalige neue Familiengesetz im Zusammenhang mit diesen Tendenzen zu sehen sei. Gerüchteweise hörte ich auch von einzelnen Übergriffen. "Islamisten" an der Uni usw... Ende der 80er Jahre kamen meiner Meinung nach die von dir genannten Ereignisse dazu, die im Grunde wie ein Katalysator gewirkt haben mussten.
Mir fällt noch einiges ein, aber ich muss jetzt ins Büro.
also habe leider diese Woche keine Zeit, aber jetzt schalte ich mich auch mal ein.
Ich bin geboren in Sachsen und war zum Mauerfall gerade 19 geworden. Kam aus einem ganz normalen Haushalt mit 3 Kindern. Mein Vater hat selbst viele Jahre als Monteur in der UDSSR und in Asien gearbeitet. Ich selbst wurde durch die Flucht meines Bruder Anfang der 80er jäh aus einem priviligiertem Leben als Spitzensprotler gerissen. Damals war die Wende zwar schon in Sicht aber unglaublich vorzustellen. Damals hatte das Sytem in meinem Kopf einen groeßn Fehler und ich verstand den Zusammenhang zwischen der Politischen Einstellung meines Bruders und meiner Kariere nicht. Gott sei Dank, hat mich ein soziales Umfeld von Familie, Freunden und Nachbarn gut aufgefangen und wieder in den Alltag eines DDR Bürgers integriert. Nach dem Mauerfall erschien mir , zumindest optisch, ein Paradies aus Mercedes und BMW fahrenden, alle im super eigenen Haus wohnenden und ständig in den Urlaub zu fliegenden Menschen. Das hat dazu geführt, das ich Anfang 90 eine gute Möglichkeit genutzt habe mich aus meiner Heimat zu schleichen und in diesem Paradies niederzulassen! Schnell habe ich festgestellt, das meine neuen Nachbarn zwar feundlich lächelten, aber nur jede Möglichkeit nutzten über die Tussi aus dem Osten zu lästern und zu reden. Dinge wie, die nehmen uns die Arbeit weg, die können ja nicht mal reden, die kennen keine Banana und was?????????? Du warst noch nicht in Thailand, Tunesien und sonstwo??? Meine Kollegen, die tagsüber immer zusammenhingen und einen auf Dicke Freunde machten, haben sich abend über jeden her gemacht und gelästert und integiert! Sie haben sich bei Vorgesetzten eingeschleimt, die guten Ideen der anderen als ihre eigenen Verkauft. Ja meine Freunde waren alle weg, die Familie weit und ich habe schnell erkannt, das alles nur ein Theaterstück ist. Salima du hast recht. Schauspieler, Gaugler und Lebenskünstler.!! Es hat lange gedauert, richtige Freunde zu finden, die wirklich da sind wenn man sie braucht. Leute hier im Westen sind anders, Oberflächlicher, Materialistischer und Egoistischer. Und dieses " Ach du kommst aus dem Osten" schlägt immer noch negativ nach! Irgendwie klingt es immer noch wie ein Vorwurf für mich! Vieleicht sind wir sensibler oder vieleicht liegt es daran, das ich eine Frau bin. Manchmal wünsche ich mir eine Mischung aus beiden. Aber nicht das einer denk die andere Seite ist heute besser? Das ist das erschreckende... die Leute im Osten gleichen sich an. Das Feeling wie früher ist verschwunden und wenn ich heut in meine Heimat fahren und doch mal noch alte Freunde treffe, dann höre ich... nach Wessi.. hast du dich verlaufen!!
Na gut.. dann bin ich Staatenlos...
Warda
Keine Pflicht wird so vernachlässigt wie die Pflicht, glücklich und zufrieden zu sein!
" Ich hatte den Eindruck, dass begann weniger offensichtlich schon früher. Zwischen 82 und 85 hatte ich mehrfach in der algerischen Presse etwas von "Afghanen" gelesen, die nach Algerien zurückkamen. Ich fragte mich immer, wer denn die Afghanen seien und was die wollen. Ich hatte auch gelesen, dass das damalige neue Familiengesetz im Zusammenhang mit diesen Tendenzen zu sehen sei. Gerüchteweise hörte ich auch von einzelnen Übergriffen. "Islamisten" an der Uni usw... Ende der 80er Jahre kamen meiner Meinung nach die von dir genannten Ereignisse dazu, die im Grunde wie ein Katalysator gewirkt haben mussten."
Das stimmt, der Zusammenbruch der Erdöl und Erdgaspreise auf dem Weltmarkt geschah bereits mitte der achtziger Jahren. Arbeitslosigkeit, die bis dahin nur "freiwillig" vorhanden war, brachte sehr viele Menschen in kurzer Zeit in grosse Bedrängnis. Ein soziales System, das so ein Schock hätte dämpfen können, gab nicht. "Man" zählte anscheinend seitens der Regierung auf die (oft gepriesene) familiäre Solidarität (als Dämpfer), die damals bereits überfordert war. Die Familie ist von innen "explodiert", da manche in der Not und unter Beratung der Charlatanan, plötzlich das Gefühl hatten, sie haben den goldenen Weg gefunden. Sie stellte ihre langjährige Tradition in Frage, verabschiedeten teilweise von "Dieseits". Eine Sehnsucht nach Gerechtigkeit und nach Kontrolle des Alltags brachte manche teilweise leicht in die Arme der "Kriegsrückkehrer", die wie bereits gesagt, ihren "Beruf" weiter ausüben wollten. Die Tendenz war oft so, dass die Elite dieser "Bewegung", auch wenn sie nicht homogen war, einige Wahrheiten offen und öffentlich angesprochen hat, was bis dahin wenig Menschen (nur regional)in Algerien gewagt haben, Die Folge war leider, dass die wenigen Wahrheiten viele Menschen bewegt haben, den ganzen "Projekt" zu tragen. Zumindest vorläufig. Die Folgen sind ja bekannt. Bruderkrieg !
In Algerien gibt es bisher leider nur drei Legimitäten, mit denen man versucht oder versuchen möchte das Land zu regieren. Die historische Legitimität, die die Regierung bis heute noch benutzt, um das Land zu regieren. Sie baut auf den Befreiungskrieg gegen Frankreich. Diese Legitimität ist dabei ihren letzten Pulver zu verschiessen. Die religiöse Legitimität hat natürlich die mobilisierendeste Wirkung(in einem Land mit 99% Moslems), da sie das "Heilige" in sich trägt, was die Algerier aber verschiedentlich prägt. Vor allem seit dem Bürgerkrieg wissen viele Algerier inzwischen mit Sicherheit, dass die Religion leider zu verschiedenen Zwecken missbraucht werden kann. Viele haben es am eigenen Leib erkannt. Die dritte Legitimität ist eine ethnische, die eigentlich in Algerien keine Chance hat, da sie zuerst eine Minderheit betrifft, die absolut kein Interesse daran hat, sich mit er Mehrheit (ausser wegen Sprache und kulturellele Angelengenheiten) auseinanderzusetzen. Denn das Einzige Reichtum Algeriens befindet in der dünnbesiedelten Sahara. Die ethnische Mehrheit dagegen schaut auf seit einer Ewigkeit zerstritene arabische Welt, die kein politisches Modell in sich trägt, was glaubwürdige Zukunftsperspektiven für Algerien anbieten kann. Eine Legitimität fehlt in Algerien. Das ist die Legitimität einer algerischen Nation, für die keine Vision und Anhaltspunkte offiziell vorhanden ist. Algerien sieht sich immer hauptsächlich als Bestandteil eines Ganzen und hat Angst sich zu verselbständigen. Kulturell lebt Algerien entweder abhängig vom Orient oder von Europa. Bei allem äusseren Stolz hat der Algerier kaum Anhaltspunkte für seine "Algerianité". Das ist wie ein ewig pubertierender junger Mann. Eine algerische Identität mit klaren Anhaltspunkten gibt es noch nicht. Ein Algerier, der sein "Dialekt" zum Beipiel spricht, entschuldigt sich fast dafür, wenn er mit einem Araber aus dem Orient, versucht sich zu unterhalten. Er ist oft auf der Suche nach einem "Reinheitsgebot", das er schon längst hat, das aber noch nicht "legitimiert" ist.
Das ist ein bisschen in Unordnung ein Bild, das ich von Algerien habe.
Sorry, dass ich mich dann auch mal einschalte: aber in meiner Generation (U30) spielt es eigentlich überhaupt keine Rolle mehr, in welchem Teil des Landes man sich zum Mauerfall aufhielt. Die End-Siebziger und Achtziger-Jahre Kinder können doch maximal auf eine Kindheit in einem anderen System zurück blicken. Irgendwann wächst halt demographisch das zusammen, was zusammen gehört.