Analyse | Stefan Brändle aus Paris, 19. Dezember 2012, 05:30
Französischer Präsident besucht die ehemalige Kolonie - Beziehungen bleiben angespannt
Gleich vier Besuche hochrangiger französischer Minister waren in den vergangenen Monaten nötig, damit François Hollande am Mittwoch nach Algier aufbrechen kann. Nichts ist einfach zwischen Exkolonie und Exmutterland. Auch ein halbes Jahrhundert nach dem Algerienkrieg sind die Narben nicht verheilt. Im vergangenen März hatten die beiden Länder den 50. Jahrestag des Waffenstillstandes nicht einmal gemeinsam gefeiert.
Hollande, geboren 1954, will nun gleichsam eine Brücke über das trennende Mittelmeer schlagen. Als Bub erlebte er, wie seine Eltern über Algerien zerstritten waren: Sein autoritärer Vater schalt Charles de Gaulle einen Verräter, weil er die "Algérie française" aufgegeben hatte; seine Mutter hegte hingegen Sympathien für die Befreiungsfront FLN. Später verhehlte der Jungsozialist Hollande nie seine Affinität mit dem freien Algerien; 2006 schrieb er etwa: "Wir schulden dem algerischen Volk noch eine Entschuldigung." Frankreich nicht zu Reue bereit
Jetzt, im 50. Jahr des Kriegsendes, wäre die Gelegenheit dazu da. Doch Hollande weiß, dass seine Landsleute zu einem öffentlichen Reueakt immer noch nicht bereit sind. Dies gilt besonders für die Pieds-Noirs (Schwarzfüße), jene 1,5 Millionen Heimkehrer, die der Kolonialzeit noch immer nachtrauern.
Pariser Diplomaten machten schon vor dem Staatsbesuch klar, dass eine Entschuldigung der einstigen Besetzer nicht infrage kommt. Dafür erweist Hollande den Algeriern mit einer beeindruckenden Delegation aus neun Ministern und 30 Unternehmenschefs die Ehre. Und die algerische Presse verzichtet seit einigen Wochen auffällig auf ihre obligaten antifranzösischen Töne. Algerien wehrt sich gegen französische Dominanz
Das heißt aber noch lange nicht, dass Präsident Abdelaziz Bouteflika seinem Gast Geschenke machen wird. Im Gegenteil, er tritt mit betontem Selbstvertrauen auf: So beansprucht er eine regionale Führungsrolle in der Sahara und hintertreibt Hollandes Initiative, in Mali eine Militärallianz gegen die Islamisten aufzubauen. Mehr als ein paar Lippenbekenntnisse für ein gemeinsames Vorgehen gegen das neue "Talibanistan" Westafrikas sind nicht drin.
Auch im wirtschaftlichen Bereich toleriert Algerien keine französische Dominanz mehr. Dem Autohersteller Renault, bisher Nummer eins im Maghreb, legen die algerischen Behörden immer mehr Steine in den Weg. Während Hollandes Besuch wird Renault-Boss Carlos Ghosn den Bau einer Fabrik in Oran bekannt geben. Doch das ist nur in einem eingeschränkten Sinn als ein Geschäftserfolg zu bewerten. Vielmehr stellte Algier die Bedingung zur Errichtung eines Werks, damit Renault überhaupt im wichtigsten Maghrebmarkt bleiben darf. Von den chinesischen Unternehmen, die heute in Algerien fast so stark vertreten sind wie die französischen, verlangte Algier bisher noch nie die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort. Minimalziel Freundschaftsvertrag
Hollande würde gerne mit der Zusicherung aus Algier zurückkehren, dass Bouteflika wenigstens den seit zehn Jahren geplanten, aber immer wieder vertagten bilateralen Freundschaftsvertrag neu lancieren will. Selbst dieses bescheidene Ziel dürfte ihm aber verwehrt bleiben. Zuerst solle Frankreich den Algeriern mehr Visa zuteilen, heißt es in Algier. Hollande kann hier aber seine Hand nicht ausstrecken: Die französische Rechtsopposition würde die Aufnahme neuer algerischer Immigranten politisch sofort ausschlachten.
So scheint es, dass die frankoalgerische Aussöhnung noch ein paar Jahre auf sich warten lassen wird. Oder gar Jahrzehnte.
(Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 19.12.2012)