Zwischen Atlantik und Nahem Osten geraten nach Jahrzehnten der Stabilität die Regime ins Wanken.
Götterdämmerung der Despoten in Nordafrika
(moz) Nordafrika brennt: Angesteckt von Tunesien und Ägypten gehen nun auch in Marokko, Algerien und Libyen die Menschen auf die Straße. Im weiteren arabischen Raum, in Ländern wie Syrien und Jordanien, regt sich ebenfalls der Protest des Volkes gegen die herrschenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Despoten geraten nach Jahrzehnten ins Wanken.
Algerien: Von der Gewalt gezeichnet
Algier. Seit Wochen rüstet sich Algeriens Opposition für den 12. Februar, jenen Tag, an dem sie ihren Machthabern mit einer Massendemonstration durch Algier ihren Protest für Freiheit, soziale Gerechtigkeit und politische Perspektiven klar machen will. Mehr als 50 Oppositionsgruppen wollen teilnehmen. Die Regierung ist entschlossen, das Demonstrationsverbot durchzusetzen. So wie bereits im Januar, als Kundgebungen gegen hohe Lebensmittelpreise sowie gegen die „Korruption des Regimes“ blutig niedergeknüppelt wurden. In Algerien gibt es seit Jahren soziale Unruhen und Anschläge gegen das Regime von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika (73), der seit 1999 regiert.
Kein nordafrikanisches Land leidet derart unter der Gewalt wie Bouteflikas Wüstenstaat. Wo ein jahrelanger Bürgerkrieg zwischen den früher sehr mächtigen Islamisten und dem vom Militär getragenen Regime in den 90er Jahren mehr als 200 000 Tote hinterließ. Wo seit dem gewaltsam unterdrückten Wahlsieg der Islamischen Heilsfront 1991 per Ausnahmezustand regiert wird. Und wo Milliardeneinnahmen aus dem Erdgasgeschäft in dunklen Kanälen versickern. Algerien ist größter Exporteur Afrikas und drittgrößter Gaslieferant Europas.
Lybien: Profiteur des Ölbooms
Tripolis. Die Despotendämmerung vor seiner Haustür ließ Libyens „Revolutionsführer“ Muammar al-Gaddafi (68) in diesen Tagen noch etwas zerknitterter als sonst aussehen: Zunächst verteidigte er Tunesiens gestürzten Tyrannen Zine el-Abidine Ben Ali. Als die Libyer zu murren begannen, verkündete er: „Ich bin auf der Seite des tunesischen Volkes.“
Gaddafis „Volksrepublik“ ist zwar dank ihrer Erdöl- und Gasfelder das reichste nordafrikanische Land und beliebt bei westlichen Konzernen. Doch vom unermesslichen Reichtum fallen für die große Mehrheit der 6,5 Millionen Libyer nur ein paar Krümel ab. Die Arbeitslosigkeit, vor allem unter den jungen Menschen, wird auf mehr als 30 Prozent geschätzt. Etwa ein Drittel der Libyer soll keinen Trinkwasserzugang haben.
In den letzten Monaten hatte sich der Volkszorn über steigende Preise für Grundnahrungsmittel und eklatanten Wohnungsmangel in Demonstrationen entladen. Der einstige Putschist reagierte: Er ordnete an, sämtliche Steuern und Zölle auf Lebensmittel zu streichen. Und 17 Milliarden Euro will er in den Wohnungsbau stecken.
Tunesien: Funke des Wandels
Tunis. Hier nahmen die Unruhen ihren Anfang – mit dem Sturz des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali (74) Mitte Januar, der "Jasmin-Revolution". Inzwischen ist wieder weitgehend Ruhe eingekehrt. Alle 24 Provinzgouverneure wurden entlassen. Für Unmut unter den elf Millionen Tunesiern sorgt immer noch die Übergangsregierung von Mohammed Ghannouchi (69), an der auch ehemalige Träger des Regimes beteiligt sind. Auch in den Provinzen regt sich noch Gewalt, etwa durch Sabotageakte von Ben Alis Regimepartei RCD. Sie soll jetzt aufgelöst werden. Die Tourismusorte, die jedes Jahr annähernd sieben Millionen Urlauber anziehen, sind verwaist.
Ägypten: Das Schlüsselland
Kairo. Mit seinen 83 Millionen Einwohnern ist Ägypten das bei weitem bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt. Klar ist deshalb: Was hier geschieht, ist von ungeheurer Strahlkraft für die gesamte Region. Noch ist nicht klar, welche Richtung die gegenwärtigen Ereignisse nehmen – ob sich das Land demokratisiert, ob es gelingt, Islam und Moderne zu versöhnen oder im Gegenteil der Umschlag in religiösen Extremismus erfolgt oder die bisherige verbrämte Militärdiktatur eine Fortsetzung mit neuem Führungspersonal findet. Wie es weiter geht, ist auch sicherheitspolitisch von Bedeutung. Ägypten war das erste und ist neben Jordanien das einzige arabische Land, das mit Israel Frieden geschlossen hat.
Syrien: Im Griff der Assads
Damaskus. Syrien ist seit fast 40 Jahren im eisernen Griff der Familie Assad, angeführt erst vom Vater Hafis al-Assad (1971 bis 2000), dann vom Sohn Baschar. Die Opposition war bislang ohne Chance. Allerdings soll nun die Willkür eingedämmt und die Lage der Armen verbessert werden. Unter der Hand heißt es, dies seien Segnungen der Aufstände in Tunesien und Ägypten.
Jordanien: Friedlicher Protest
Amman. Die Proteste in Jordanien – auch hier eine Folge der schlechten wirtschaftlichen Lage und der verbreiteten Korruption – lassen König Abdullah bislang außen vor. Er gilt, wie schon sein Vater, König Hussein, als Verkörperung der Einheit des Landes. Der Monarch allerdings reagierte, indem er die alte Regierung entließ und Reformen versprach. Die Situation ist friedlich.
Marokko: Armenhaus der Region
Rabat. „Nieder mit der Diktatur“, riefen die Menschen. In mehreren Städten Marokkos, etwa in der Hauptstadt Rabat, in Fez und Tanger, flammten die letzten Tage Proteste auf, in denen Tausende Menschen für Demokratie und gegen die große Armut in Marokko demonstrierten. Die Polizei löste die Kundgebungen umgehend auf. König Mohammed VI. (47) stellt sich gern als modernen Reformer dar, hält aber in Wirklichkeit die Zügel stramm.
Sein Land gilt als das ärmste Nordafrikas. Mindestens ein Viertel der Jungakademiker steht ohne Job da, etwa 20 Prozent der Marokkaner müssen mit weniger als einem Euro am Tag auskommen, mehr als 40 Prozent sind Analphabeten. Währenddessen verfügt König Mohammed über ein Privatvermögen von geschätzten 2,5 Milliarden Dollar.
Zudem sorgt das Erstarken der Islamisten für Unruhe. Auch die Benachteiligung der großen Berber-Volksgruppe, Marokkos Urbevölkerung, sowie der Konflikt in der von Marokko besetzten West-Sahara destabilisieren das Land.
Ralf Schulze und Günther Marx 09.02.2011
Märkische Oderzeitung