Denkmal für seine algerische Heimat
Albert Camus: "Hochzeit des Lichts". Arche Verlag
Von Christoph Vormweg
Im Arche Verlag erscheint zu Albert Camus' 50. Todestag noch einmal "Hochzeit des Lichts", eine Sammlung von literarischen Essays, die zeigen, wie wichtig für Albert Camus seine algerische Heimat war.
"Ja, es gibt die Schönheit, und es gibt die Erniedrigten. Was auch immer meine Fehler als Mensch und Schriftsteller sein mögen: Ich möchte weder der einen noch den anderen untreu werden."
Auch auf den Gipfeln des Ruhms hat Albert Camus nie vergessen, woher er kam. Aufgewachsen mit Mutter und Großmutter in einem Armenviertel von Algier, lebte er früh im Zwiespalt: hin- und hergerissen zwischen sozialer Not und betörenden Naturerfahrungen. Mitte der 1930er-Jahre - er war Anfang zwanzig - setzte Albert Camus seiner algerischen Heimat zum ersten Mal ein literarisches Denkmal. Unter dem Titel "Hochzeit des Lichts" beschrieb er in einer Mischform aus Essay und Erzählung seine Lieblingsorte. Deren berauschende, manchmal schmerzhafte Sinnlichkeit fing er in kraftvollen Bildern ein: von den Lichtorgien der Sonne bis hin zu der - so wörtlich - "Umarmung von Meer und Erde auf meiner Haut".
Vor allem in der Stadt Tipasa mit ihren römischen Ruinen erlebte Albert Camus symbiotische Vereinigungsgefühle. "Alles hier lässt mich gelten, wie ich bin", schwärmte er. Denn dort fand er "jenen einfachen Einklang eines Geschöpfes mit seiner Existenz", die für ihn Glück bedeutete.
Umso aufschlussreicher, dass Albert Camus' "Hochzeit des Lichts" eine zweite Textsammlung hinzugefügt ist: seine "Sonnenessays", darunter die knapp 20 Jahre später, also nach dem Zweiten Weltkrieg geschriebene "Rückkehr nach Tipasa".
Aufgewachsen im Anblick der Schönheit, die mein einziger Reichtum war, hatte ich in der Fülle begonnen. Dann war der Stacheldraht gekommen, das heißt die Tyrannei, der Krieg, der unerträgliche Hass, die Zeit der Aufstände. Man musste sich den Gesetzen der Nacht unterordnen; die Schönheit des Tages blieb nur Erinnerung. Aber in den schlimmsten Jahren unseres Wahnsinns hat mich diese Erinnerung nie verlassen. Sie war es letztlich, die mich daran gehindert hat zu verzweifeln. Und man weiß, dass es heute mehrere Arten der Verzweiflung gibt, wobei die bequemste darin besteht, seine Brüder zu verraten und einzuwilligen, dass der Mensch geknechtet wird.
Bei seiner Rückkehr nach Tipasa fühlte sich Albert Camus zutiefst zerrissen - trotz seines Ruhms als Widerstandskämpfer gegen die Nazibesatzer in Frankreich, trotz seines Durchbruchs als Schriftsteller mit seinem Roman "Der Fremde" und seinem Essay "Der Mythos von Sisyphos". Denn zum einen nagten die wachsenden Konflikte zwischen algerischen Unabhängigkeitskämpfern und französischer Kolonialmacht an ihm, zum anderen das spektakuläre Zerwürfnis mit Jean-Paul Sartre.
Aufgewühlt und enttäuscht suchte Albert Camus noch einmal das unvergleichliche Licht seiner Lieblingsorte, die ihm früher so viel innere Kraft verliehen hatten. Und wirklich: "In diesem Licht und in diesem Schweigen", schrieb er, "zerrannen langsam die Jahre der Raserei und der Nacht." Naiv konnte er sich dem Lichtrausch allerdings nicht mehr hingeben. Sein Kommen galt vor allem einem Ziel: Er wollte mit neuer Willenskraft in die intellektuellen Grabenkämpfe zurückkehren und mit Worten weiter wider das Unrecht streiten, ohne selbst inhuman zu werden.
Während des Kalten Krieges geriet Albert Camus mit seinem antitotalitären, gewaltskeptischen Humanismus und seiner offenen Ideologiefeindlichkeit immer wieder zwischen die Fronten. Vielen galt er als sozialdemokratisches Weichei, als Philosoph für Abiturienten. Gegen solches banalisierende Schubladendenken hilft nur die Neulektüre. So ist in Frankreich in der "Bibliothèque de la Pléiade", dem von den Franzosen gern sogenannten "Pantheon der Weltliteratur", 2008 eine neue, diesmal chronologisch aufgebaute Werkausgabe abgeschlossen worden, die das klischeelastige Camus-Bild korrigiert. Und in Algerien, wo der Literaturnobelpreisträger bis heute "als französischer Partisan" verschrien ist, erhebt ihn der auch bei uns vielgelesene Romancier Yasmina Khadra zum Vorbild.
Deutschsprachigen Lesern wiederum erlauben Neuausgaben wie "Hochzeit des Lichts", einen Albert Camus jenseits der schulischen Pflichtlektüren zu entdecken: einen Schriftsteller, der die Pariser Debattenkultur als zerstörerisch empfand und für den die algerische Heimat deshalb immer die stärkste innere Kraftquelle blieb. Die Substanz von Albert Camus' moralischen Positionen hat dort genauso ihren Urgrund wie sein schonungsloser Blick in die Abgründe des Absurden und Widersprüchlichen.
Albert Camus: "Hochzeit des Lichts". Literarische Essays.
Aus dem Französischen von Peter Gan und Monique Lang.
Reihe: Arche Paradies. Arche Verlag 2010.
176 Seiten. 16 Euro.
Deutschlandfunk