zuerst muss man wissen, die algerische Gesellschaft befindet in einem Umbruch. Abgesehen von dem Bürgerkrieg spielt der Übergang von einem "sozialistischen" System in eine Freie, teilweise "wilde" Marktwirtschaft eine entscheidende Rolle, um bestimmte Verhaltenweisen und Entwicklungen zu erklären. Es gibt sicher vieles, was inzwischen toleriert wird, aber genauso gibt es die andere Extreme, die sehr dogmatisch bzw. "orthodox" erscheint. Das heisst, der Raum, in dem die Algerier sich bewegen, ist viel breiter geworden. Das bedeutet anders gesagt, dass die Menschen, die sich "traditionell" leben wollen, sich das erst mal leisten können sollen. Die Mittelschicht in Algerien ist den letzten Jahrzehnten deutlich geschrumpft. Das ist aber die Schicht, die im Grunde genommen in jedem Land der Welt alles entscheidet. Es gibt in Algerien inzwischen mehr Reiche aber vor allem mehr Arme, die aus dieser ehemaligen Mittelschicht stammen. Die Toleranz, auch bei Eheschliessungen ist sicher eher bei der armen Schicht zu suchen. auch innerhalb dieser Schicht paradoxerweise sind, bzw. ist ein wichtiger Teil der radikalen Menschen, zu finden. Nun zu binationalen Ehen. Es herrscht sicher die Tendenz in Algerien zu denken, dass binationeale Ehen in der Regel nicht lange halten. Die Statistik von Ehen und Scheidungen in Europa allgemein möge ihnen "recht" geben. Dennoch sobald Kinder im Spiel sind, da scheinen die Algerier niemanden (trotz aller Statistik) eine Trennung zu "wünschen" oder vorstellen zu können. Das ist mein Eindruck.
ich finde Deine Sichtweise sehr interessant und ich glaube auch, dass die Rückbesinnung auf traditionelle Werte, die ein Teil der Gesellschaft erfährt, viel mit dem schwarzen Jahrzent und auch dem Socialisme a l`algérien zu tun hat. Deine Beobachtung über die Toleranz bestimmter gesellschaftlicher Schichten kann ich nicht ganz teilen - gerade z.B. in Hydra (jeunesse dorée) empfand ich viele Familien als sehr aufgeschlossen und europäisch orientiert. Was den Armen Teil der Bevölkerung betrifft: gibt es für die vermeintliche Toleranz nicht vielleicht auch finanzielle Gründe? Eine Eha nach Europa bringt ja der ganzen Familie Vorteile, dass kann ich nicht einmal als verwerflich empfinden. Im Prinzip setze ich mich damit auseinander, um zu verstehen, woher die Ablehnung durch den Vater meines Freundes stammt und was man dagegen tun kann. Mittelschichtssyndrom? Na ja, im Zweifel geht es auch ohne die Familie, aber gut würde ich es nicht finden.
ich habe nicht ausgeschlossen, dass ein Teil der oberen Schichten in Algerien sich mit einer "europäiischen Sichtweise" anfreunden können. Dies war bereits so in der "sozialistischen Zeit", das heisst, eigentlich keine grosse Veränderung. Interessant ist aber bei einem anderen Teil dieser Schicht eine radikale Veränderung stattgefunden hat. Das wirtschaftliche Zustand der neuen armen Teile der Bewölkerung beeinflusst ohne Zweifel die Sitten und Gebräuche. Dies ist keine algerische Eigenschaft sondern eine soziologische Wahrheit. Was den Vater deines Mannes angeht, ist es sicherlich schwierig eine Ferndiagnose zu erstellen. Ich weiss nur, dass manche Väter in Algerien eine bestimmte Vorstellung haben, was ihre Kinder tun und lassen sollten. Aber in aller Regel auch solche Eltern, die einiges ihren Kindern vorschreiben wollen, bei der Entstehung von Enkelkindern, ihre Sichtweise verändern. Es soll jetzt keine Einladung von mir sein, Kinder zu machen, wenn sie nichts bereits da sind. Aber ich wüsste wenig Großeltern in Algerien, die bei Enkelkindern in gemischten Ehen, ihre Sichtweise nicht revidieren. Ich kann dein Unverständnis und deinen Wunsch verstehen, aber mehr kann ich momentan, bei meinem Informationsstand, dazu nicht sagen.
wir sind noch nicht verheiratet, würden aber gerne - deswegen also das "klassische" Gespräch zwischen Vater und Sohn, in dem der Sohn von seinen Heiratsplänen berichtete. Das Ergebnis ist bekannt, der Vater ist dagegen, ohne mich zu kennen. Im Prinzip haben wir beide gesagt, wir heiraten auch ohne elterlliches Einverständnis, aber ich würde halt doch lieber versuchen, von dem Vater akzeptiert zu werden. Wobei ich mich weder um 5 Jahre verjüngen kann, noch etwas an der Tatsache ändern kann oder will, dass ein Elternteil von mir deutsch ist.
nun verstehe ich ein bisschen besser. Der Vater kennt dich gar nicht. Gibt es eine Möglichkeit, dass der Vater dich überhaupt kennenlernt ? Dass mit dem Alter muss nicht unbedingt das Entscheidendeste sein.
Gruß und Salam
Gast
Beiträge:
20.06.2007 22:47
#21 RE: DER ALGERIER GEGENÜBER ALGERISCHEN & DEUTSCHEN FRAUEN
also mein Freund hat seinem Vater von mir erzählt, eben weil gerade die Möglichkeit bestand mich kennen zu lernen, Ich war für mehrere Wochen in Algier, um zu arbeiten und meine Familie zu besuchen. Er könnte mich auch diesen Sommer oder im Winter kennen lernen. Eigentlich immer, wenn er denn wollte. Nur will er offentsichtlich ja gar nicht. Wir sind übrigens beide in einem Alter, wo man den Altersunterschied nun wirklich nicht sieht oder mitbekommt. Er ist 24 hat studiert und arbeitet, ich bin fast 29, habe studiert, mache nun ein Promotionsstudium und arbeite auch. Ich weiß halt nicht so ganz genau, woher diese Ablehnung rühren könnte.
Mir fällt gerade eine alte Geschichte ein, wo der Vater eine wichtige Rolle gespielt hat. Es ging um einen meiner besten Freunde. Er war seit einigen Jahren in Algerien mit einer halb Französin, halb Algerierin zusammen. Als er sie heiraten wollten, hat der Vater dies kategorisch abgelehnt. Mein Freund arbeitete in dem Unternehmen seines Vaters und hatte eine "enges" Verhältnis zu ihm. Der Vater bot ihm ein, die Tochter eines Freundes von ihm, die er nicht kannte zu heiraten. Er durfe sie kurz kennenlernen. Nach langem Zögern heiratete mein Freund, die Frau, die der Vater "angeboten" hatte. Seine ehemalige Freundin zog fertig mit den Nerven nach Frankreich, wo sie bereits aufgewachsen war. Sie heiratete auch einige Monate später. Ich traf sie in Frankreich, da ich in der Zwischenzeit in Deutschland begann zu studieren. Sie war unglücklich und heiratete seltsamerweise nach einem ähnlichen Modell, wie mein Freund in Algerien. Beiden haben Kinder gehabt in ihre jeweilige Ehe. ca. acht Jahre später entstand wieder Kontakt zwischen ihnen und es dauerte nicht lange bis sie sich haben scheiden lassen und zogen zusammen. Es klingt wie ein Film, das aber eine reale Geschichte. Das Problem sind aber nun die Kinder. Mein Freund pendelt nun zwischen zwei Länder. Er versucht seine Doppelrolle als Vater wahrzunehmen. Dies ist aber fast unmöglich, zumal er inzwischen Kinder mit seiner grossen Liebe in Frankreich hat. Sein inzwischen alter Vater unterhält nun hauptsächlich die algerische Familie. Der Vater sagte mir letztes Jahr in einem der sehr wenigen Gespräche, die ich mit hatte, er habe der grösste Fehler seines Lebens begangen, als er seinen Sohn gezwungen hatte, die Frau zu verlassen, die er liebte. Das ist auch eine traurige und tragische algerische Wahrheit.
Auch wenn Dein letzter Beitrag sich nicht auf meine Nachricht bezog, Kabyle, so kann man doch eine Menge Informationen daraus ziehen und nur hoffen, dass meine Beziehung nicht so endet oder solche Umwege nehmen muss. Ich wünsche seinem Vater dieselbe Erkenntnis, wie dem Vater Deines Freundes.
dass der Vater deines Freundes die Wahrscheinlichkeit in Kauf nimmt, dich irgendwann kennenzulernen ist sicher nicht die schlimmste Ausgangsposition, die du haben könntest. Die Ablehnung muss nicht dauerhaft sein. Viele Menschen haben Angst vor dem, was sie nicht kennen. Ich würde aber an deiner Stelle optimistischer sein. Es klingt in meinen Ohren nicht wie andere radikale Varianten in Algerien. Woher die Ablehnung stammt, wirst du mit der Zeit sicher genauer herausfinden und vielleicht wirst du irgendwann mit deinem zukünftigen Schwiegervater darüber lachen.
ich wünsch euch beiden ganz ganz viel glück! ich hoffe, dein schwiegervater in spe besinnt sich und und vertraut seiner erziehung. würde ein gut erzogenens kind wirklich einen so schlimmen partner heiraten wollen?
mein vater weigert sich seit 13 jahren seinen schwiegersohn kennen lernen zu wollen.