Familienidylle und ansonsten nur Tabus: Keine Homosexuellen, kein Sex außerhalb der Ehe, und in der Ehe sollte er nur der Fortpflanzung dienen. Diesmal geht es nicht um den Vatikan — Sifak und Puak von Abu Nawas berichten von ihrem Alltag in Algerien.
Alleine wohnen? Das geht gar nicht: Man wohnt bei der Familie bis zur Heirat, mit 24 Jahren sollte das geschafft sein. Männer können vielleicht mal ausziehen, aber das ist schon verdächtig. Alleinlebende Frauen, so etwas gibt es selbst in den Großstädten nicht. Eine heterosexuelle Hochzeit ist unausweichlich, Lesben haben es besonders schwer, sagt Sifak. Viele versuchen, sich über Auslandsstudien zumindest einen kleinen privaten Freiraum zu erkämpfen.
Homosexualität steht unter Strafe, es drohen Geldstrafen und Gefängnis bis zu drei Jahren. Sifak und Puak, so heißen sie nicht wirklich. Die meisten Aktivisten von Abu Nawas arbeiten nur unter ihren Kampfnamen. Ihr Ziel: die Abschaffung von Artikel 333 und 338 des Strafgesetzbuches.
Algerien ist das flächenmäßig das größte Land des afrikanischen Kontinents, liegt im Nordwesten direkt am Mittelmeer und reicht weit nach Süden in die Sahara hinein. Wegen der rigiden Familien– und Sexualmoral ist HIV/Aids-Prävention kein Thema. Laut offiziellen Angaben gibt es „nur“ 7.000 HIV-Infizierte. Sifak hält das für Propaganda angesichts einer Einwohnerzahl von über 30 Millionen.
Unterstützung aus dem Ausland — gerade aus Deutschland — ist für die politische Arbeit von Abu Nawas sehr wichtig. Im Sommer schreiben Sifak und Puak an den LSVD, dass sie gerne nach Berlin kommen würden, um über Strategien und die Intensivierung der gemeinsamen Arbeit zu sprechen. Wir schicken die Einladung, sie bekommen die Visa, es ist schon fast alles fertig organisiert, da schreibt Sifak:
“Noch eine Sache, wäre es vielleicht möglich uns ein paar Kondome und Gleitgel zu besorgen? Die sind hier kaum zu bekommen und unerschwinglich teuer, ganz zu schweigen von den Tabus. Gerne würden wir in Berlin auch Kontakt zu HIV/AIDS-Projekten aufbauen, um an dieser schwierigen Situation etwas zu ändern.“
„Das müsste doch zu schaffen sein“, denken wir uns und fragen Carolin Vierneisel von der Deutschen-Aids-Hilfe (DAH). So kommt zu einem dichten Wochenplan mit Gesprächen im Auswärtigen Amt, dem LSVD-Zentrum MILES, mit Maneo, der Hirschfeld-Eddy-Stiftung und manCheck, außerdem noch ein ausführliches Gespräch über Methoden der Präventionsarbeit in Verfolgerstaaten mit der DAH. Sasha Gurinova und Tanja Gangarova überreichen am Ende einen ganzen Karton mit Safer-Sex-Päckchen.
Auch die Fachfrauen können es kaum glauben, als Sifak erläutert, dass es in Algerien auch für Heterosexuelle kaum möglich ist, Kondome zu bekommen. An eine offene Präventionsarbeit für Männer, die Sex mit Männern haben, ist nicht zu denken. Eine Zusammenarbeit zwischen der Deutschen GIZ und Abu Nawas gibt es nicht. Und postalische Lieferung an die Aktivistinnen und Aktivisten ist auch nicht möglich, da die Einfuhr nur in geringen Mengen möglich ist. Was kann man da tun? Hier sind Ideen gefragt. Vielleicht finden wir ja vor ihrem nächsten Besuch einen sicheren Weg, um Präventionsmaterial zu Abu Nawas zu senden.