18.12.2012 · Der erste Staatsbesuch in Nordafrika führt Frankreichs Präsidenten Hollande nach Algerien. Fünfzig Jahre nach dem Ende des Krieges zwischen beiden Ländern ist das eine weitere Geste der Reue der früheren Kolonialmacht. Von Michaela Wiegel, Paris
or fünfzig Jahren endete der Algerien-Krieg. Frankreich und Algerien haben ihrer gemeinsamen Geschichte bislang getrennt gedacht. Das soll sich am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche ändern, wenn der französische Präsident knapp vor Ende des Gedenkjahres in der algerischen Hauptstadt Algier und an der Universität Tlemcen empfangen wird. François Hollande ist erst der dritte französische Präsident, der seit der Unabhängigkeit algerischen Boden betritt. Wie bei seinen Vorgängern Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy wird es Abdelaziz Bouteflika sein, der Hollande in Algier begrüßt.
Bouteflika gehörte als junger Mann der algerischen Delegation an, die in Evian am Genfer See den Vertrag aushandelte, mit dem Frankreich Algerien in die Unabhängigkeit entließ. Auch in hohem Alter ist der algerische Präsident nicht müde geworden, von der früheren Kolonialmacht Gesten der Reue einzufordern.
Nicolas Sarkozy hatte sich diesem Verlangen verweigert. Ein von der Nationalversammlung zur Unzeit beschlossener Gesetzestext über „die positive Rolle der überseeischen Präsenz Frankreichs, insbesondere in Nordafrika“ hatte alle Versuche einer Normalisierung zunichtegemacht. Der von Jacques Chirac nach seinem triumphalen Besuch in Algier und Oran 2003 gehegte Wunsch nach einem algerisch-französischen Freundschaftsvertrag ist in weite Ferne gerückt.
Kein „Versöhnungsspektakel“
François Hollande gibt vor, aus der Erfahrung seiner Vorgänger gelernt zu haben. Der Präsident wolle weder ein „Versöhnungsspektakel“ wie einst unter Chirac noch eine rein von wirtschaftlichen Interessen gelenkte Zusammenarbeit wie unter Sarkozy, heißt es aus seinem Beraterstab. Hollande, der 1978 als junger Absolvent der Eliteverwaltungsschule Ena mehrere Monate an der französischen Botschaft in Algier verbrachte, schickte seinem Besuch dabei mehrere versöhnliche Gesten voraus. Mitte Oktober erkannte Hollande im Namen der „Französischen Republik“ die „blutige Repression“ an, der bei einer Demonstration am 17. Oktober 1961 in Paris zwischen dreißig und 200 Algerier zum Opfer fielen. Hollande sagte, er ehre „das Andenken der Opfer“.
Dabei schwelt ein Historikerstreit zu den Oktober-Geschehnissen. Während unbestritten ist, dass die französische Polizei mit Gewalt gegen die Demonstranten vorging, so wird ein anderer Aspekt oft ausgeblendet. Denn die in Frankreich lebenden Algerier waren damals in feindliche Fraktionen gespalten. Der Machtkampf, den schließlich die FLN, die Nationale Befreiungsfront, gewann, forderte auch auf französischem Boden viele Tote, worauf der Historiker Benjamin Stora in einer Ausstellung in der Cité nationale de l’histoire de l’immigration hinweist. Stora nimmt für sich in Anspruch, Hollande in der Algerien-Frage zu beraten.
Mit linken Mehrheiten hat sich das französische Parlament im November auch auf einen offiziellen Gedenktag für die Opfer des Algerien-Krieges geeinigt. Damit endet ein seit Jahren geführter Streit zur Gedenkkultur. Erst seit einem Parlamentsbeschluss 1999 darf in der offiziellen Geschichtsschreibung von einem Algerien-Krieg gesprochen werden. Zuvor war im öffentlichen Sprachgebrauch von „den Ereignissen“ die Rede. Jetzt geht Frankreich einen Schritt weiter. Künftig soll jährlich am 19. März an die Opfer des fast acht Jahre währenden Krieges gedacht werden. Das Datum nimmt Bezug auf den Tag der Waffenruhe, mit dem 1962 ein Ende des Blutvergießens erreicht wurde.
Aber auch die nach langem Zaudern getroffene Entscheidung Frankreichs, das Verlangen der palästinensischen Autonomiebehörde nach einem aufgewerteten Beobachterstatus in den Vereinten Nationen zu unterstützen, zählt zu den „Geschenken“ Hollandes an Bouteflika. Hollande erhofft sich von dieser propalästinensischen Haltung einen Ansehensgewinn, wie ihn Chirac 2003 durch seine Veto-Drohung bei den Vorbereitungen zum Irak-Krieg in Algier erreichte.
Marokkos König irritiert
Ohnehin ist es ein Novum, dass der erste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in Nordafrika ihn nach Algerien und nicht nach Marokko führt. Das Königreich, dessen Trennung von der Kolonial- und Schutzmacht wesentlich friedlicher verlief und das sich als „privilegierter Partner“ Frankreichs sieht, reagierte irritiert auf diese Reiseplanung. Hollande musste deshalb eilends seinen Premierminister Jean-Marc Ayrault nach Rabat schicken, um eine größere diplomatische Krise mit dem wirtschaftlich weitaus bedeutsameren Partner zu verhindern. Der marokkanische König Mohammed VI. hatte sich auserbeten, noch vor dem algerischen Staatspräsidenten beehrt zu werden, so dass Ayrault schon am Donnerstag vergangener Woche in Rabat weilte.
Hollandes Berater bereitet unterdessen das Gastgeschenk für den algerischen Präsidenten Kopfzerbrechen. Chirac hatte vor fast zehn Jahren seinem Gastgeber die Memoiren General Charles de Gaulles überreicht, der Algerien in die Unabhängigkeit entlassen hatte.
Hollande erwägt nun, Bouteflika die Schlüssel der Stadt Algier zurückzugeben. Sie waren nach der Eroberung der Kasbah am 5. Juli 1830 dem französischen Feldherrn Marschall de Bourmont vom Dey Hussein als Zeichen seiner Kapitulation übergeben worden. Das Beutestück zählt inzwischen zur Sammlung des Musée de l’Armée und ist als solches eigentlich unveräußerliches Eigentum der Französischen Republik. Ob das Schlüssel-Geschenk zur Aufarbeitung der 132 Jahre währenden Kolonialherrschaft beitragen würde, wird ohnehin bezweifelt.