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 AKTUELLE NEWS
Bavarois Offline




Beiträge: 804

12.02.2011 19:24
Protestmarsch in Algier Antworten

Militärstaat
Algerien lässt Proteste mit Gewalt ersticken
Polizei prügelt Demonstranten nieder
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Sicherheitskräfte sind in Algeriens Hauptstadt Algier mit Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen, die mehr Demokratie und bessere Lebensbedingungen forderten.

Die Bereitschaftspolizisten tranken Kaffee, lasen Zeitung und rauchten die erste Morgenzigarette. Ihre Helme, Schutzschilder und Schlagstöcke lagen noch in den Einsatzwagen, als die ersten Demonstranten um acht Uhr morgens den Platz des 1. Mai im Zentrum von Algier erreichten. Bereits zwei Stunden vor dem Beginn der geplanten Proteste schallten „Bouteflika raus“-Rufe durch die Innenstadt Algiers und machten deutlich, dass man das Gleiche wie in Ägypten und Tunesien will: den Rücktritt des Präsidenten und eine neue Regierung.

„Wir wollen Demokratie, Reformen, Veränderungen“, erklärt Rabah Boucetta vom „Bündnis von Kultur und Demokratie“ (RCD), ein Hauptinitiator der Protestveranstaltung. „Der richtige Moment dazu ist gekommen. Die Ereignisse in den anderen arabischen Ländern bestärken uns. Die internationale Öffentlichkeit ist auf unserer Seite.“ Das RCD hatte schon am 22. Januar in Algier zur ersten offiziellen Demonstration gegen das algerische Regime aufgerufen. Im Vorfeld war es landesweit zu spontanen Protesten und gewalttätigen Auseinadersetzungen mit den Sicherheitskräften gekommen, bei denen drei Menschen starben und mehr als 800 verletzt wurden. Meist Jugendliche brannten dabei Polizeistationen und Regierungsgebäude nieder.

Korruption und Lebensmittelpreise fachen Wut der Bürger an

Als Anlass wurden die Preissteigerungen von Grundnahrungsmitteln wie Mehl, Zucker und Olivenöl genannt. Eine durchschnittliche algerische Familie muss 40 Prozent ihres Haushaltsetats dafür aufwenden. „Das alleine als Auslöser der Unruhen anzusehen, ist etwas zu kurz gegriffen“, meint Alexander Knipperts, der Leiter der Fritz-Naumann-Stiftung in Algier. „Da geht es natürlich auch um die Unzufriedenheit mit dem algerischen Staat, um Korruption und Arbeitslosigkeit.“ Algerien mit seinen großen Öl- und Gasvorkommen sei eigentlich ein reiches Land, nur bei der Bevölkerung würde davon wenig ankommen. Die „Demokratische Volksrepublik“ hat 2010 Einnahmen in Höhe von 55 Milliarden Dollar mit dem Export von Öl und Gas erzielt. Die algerische Zentralbank verfügt über 150 Milliarden Dollar in ausländischen Währungen. Einnahmen und Geldreserven, von denen Marokko (24 Milliarden Geldreserven) oder auch Libyen (Einnahmen 2010: 32 Milliarden) nur träumen können.

„In den letzten zehn Jahren hat Algerien offiziell 365 Milliarden zur Verbesserung der Infrastruktur ausgegeben“, behauptet Rabah Boucetta vom RCD-Bündnis, das als Oppositionspartei mit 19 Abgeordneten im Parlament vertreten ist. „Außer der im Bau befindlichen Ost-West-Autobahn und des neuen Flughafens ist nichts sichtbar.“ Das Stichwort ist Korruption. Auf dem Index von Transparency International 2010 steht Algerien auf Platzt 105 von insgesamt 178 Ländern. „Das fängt bei der Familie von Präsident Abdelaziz Bouteflika an und zieht sich durch die gesamte Administration“, fügt Boucetta an. „1981 musste Bouteflika ja schon ins Exil gehen, weil er in seiner Zeit als Außenminister Gelder unterschlagen hat.“
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Am späten Samstagvormittag ist aus den ersten, wenigen Demonstranten, die sich frühmorgens am Platz des 1. Mai einfanden und von der Polizei eingekesselt wurden, eine Menge von mehr als 2000 Menschen geworden. Sie lassen sich von dem Aufgebot von insgesamt 30.000 Polizisten, die ihren Protestzug stoppen sollen, nicht an ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung hindern. Sie durchbrechen die Absperrungen der Sicherheitskräfte, um ihren zwei Kilometer langen Marsch durch die Innenstadt fortzusetzen. „Die gewaltsamen Auseinadersetzungen gehen auf das Konto der Polizei“, sagt Abdelmoumen Khelil. Er ist der Generalsekretär der algerischen Liga für Menschenrechte (LADDH), die ebenfalls Teil der Organisation ist, die die Proteste gegen die Regierung koordiniert. „Wir versuchen alle Menschen zu integrieren. Ob jung oder alt und unabhängig von politischen Richtungen.“

Regierung lässt Datenverkehr verlangsamen

Mobilisiert wird, wie schon in Tunesien und Ägypten, im Internet, auf den Webseiten von Facebook und Twitter. „Aber auch ganz altmodisch“, meint Khelil schmunzelnd, „mit Inseraten in oppositionellen, privaten Zeitungen.“ Die algerische Regierung hat am Demonstrationstag auf die moderne, gerade bei Jugendlichen, so beliebte Form der digitalen Kommunikation reagiert. Das Internet und Telefondienste wurden zwar nicht abgeschaltet, aber der Datenverkehr immens verlangsamt. Kommunikation als Geduldsspiel.

Abdelmoumen Khelil von LADDH, aber auch Rabah Boucetta vom „Bündnis für Kultur und Demokratie“ sind über die Teilnahme von nur 2000 Menschen an der Demonstration nicht enttäuscht. „Bei den Vorbereitungen gab es viele Einschüchterungen und Drohungen seitens der Behörden“, erzählt Khelil. „Leute wurden für Stunden verhaftet und verhört“. Man sei auch ständig unter Beobachtung. „Von Mal zu Mal werden es mehr Leute sein“, glaubt der Kollege Boucetta vom RCD, dem sich mittlerweile fünf politische Parteien, zehn Gewerkschaften und 250 Anwälte angeschlossen haben. Die Demonstration sei nur der Anfang gewesen. Man werde weiterkämpfen, es „hat noch nicht richtig angefangen“. Die Versprechungen von Präsident Bouteflika, den seit 19 Jahren bestehenden Ausnahmezustand aufzuheben, hält Boucetta für ein Ablenkungsmanöver. „Wir wollen viel mehr: Einen kompletten Machtwechsel, die Auflösung aller gewählten Institutionen und Neuwahlen unter internationaler Aufsicht.“

Die Wahlen zum Parlament 2007 seien eine Farce gewesen. Die Resultate vorbestimmt, wie auch bei der Wiederwahl von Abdelaziz Bouteflika 2009. Er bekam 90,24 Prozent der Stimmen. Der tunesische Amtskollege Ben Ali, der mittlerweile ins saudische Exil flüchten musste, erhielt ebenfalls diese überwältigenden Mehrheiten. Die dritte Amtsperiode von Bouteflika war nur durch eine Verfassungsänderung möglich. Um die geringe Wahlbeteiligung von nur 35 Prozent wie bei den vorangegangen Parlamentswahlen zu verhindern, heuerte das Innenministerium 16?000 Mitarbeiter an. Sie besuchten 1,5 Millionen Familien, um sie als neue Wähler zu registrieren. Die rund vier Millionen algerische Gastarbeiter im Ausland wurden aufgefordert, ihre Stimme in ihren Auslandsvertretungen abzugeben. In den Moscheen mussten die Imame die Wahl als religiöse Pflicht verkünden.

Islamisten haben in Algerien keine Chance mehr

Die algerische Opposition ist zuversichtlich, dass derartige Vorgänge bald zur Vergangenheit gehören. Allerdings wird der friedliche Übergang zur Demokratie, wie Boucetta einräumt, „in Algerien nicht nur ein paar Wochen, wie in Tunesien oder Ägypten dauern. Es werden Monate.“ Vielleicht täuscht er sich ja auch. Der saudi-arabische Außenminister Saud al-Faisal hat seinen Besuch in Algerien kurzfristig, „aus persönlichen Gründen“ abgesagt. Jedoch sind radikale wie schnelle demokratische Veränderungen nur schwer denkbar.

Algerien ist ein Militärstaat. Die Armee hat sich 1991 an die Macht geputscht, um den sich abzeichnenden Wahlsieg der islamistischen „Heilsfront“ zu verhindern. Sie löste damit einen mehr als zehn Jahre dauernden blutigen Bürgerkrieg mit den Islamisten aus, der in den Neunzigerjahren mehr als 120.000 Menschen das Leben kostete. Dieses Trauma sitzt tief. „Die Islamisten haben keine Chance mehr“, versichert Abdelmoumen Khelil. „Ihre Reputation ist die von Mord und Totschlag.“

Gleichzeitig nähren die Gräueltaten aus dem Bürgerkrieg die Angst, neue Umwälzungen könnten ähnliches Chaos provozieren. „Als Mitte Januar die Unruhen ausbrachen und sich Jugendliche aus den Vorstädten mit der Polizei schlugen“, erinnert sich Alexander Knipperts, „schloss die Bevölkerung einfach die Fensterläden.“ Und nachdem die Regierung die Lebensmittelpreise wieder senkte, sei es sofort ruhig auf den Straßen geworden. Die algerische Gesellschaft sei zu zersplittert: „Es ist kaum vorstellbar, dass alle vereint in Massenprotesten gegen Präsident Bouteflika auf die Straße gehen, wie es in Ägypten oder Tunesien geschehen ist.“

WELT ONLINE 12.02.2011
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Bavarois Offline




Beiträge: 804

13.02.2011 11:57
#2 Solidarität Antworten

Die in Berlin lebenden Algerier für die Anforderungen der Demonstranten in Algier.



تظاهرة ببرلين دعما للاحتجاج بالجزائر
تظاهر عشرات الجزائريين عصر السبت أمام كنيسة الذكريات التاريخية في العاصمة الألمانية برلين تضامنا مع مواطنين اعتقلتهم الشرطة في العاصمة الجزائرية في نفس اليوم، أثناء مطالبتهم بإصلاحات سياسية جذرية وتحسين الظروف الاقتصادية.

ورفع المشاركون في هذه التظاهرة أعلاما جزائرية ولافتات بالعربية والفرنسية والألمانية تحمل عبارات تندد بتردي الأوضاع المعيشية وتراجع أوضاع حقوق الإنسان في الجزائر.

وقال أحد منظمي التظاهرة للجزيرة نت إن "منع الأمن لتظاهرة اليوم دون سبب، دلل علي أن النظام الجزائري لم يستوعب أن رياح التغيير الديمقراطي التي اقتلعت نظام بن علي القمعي في تونس ودولة حسني مبارك البوليسية في مصر علي أيدي الشباب المصري، ستواصل هبوبها علي بقية المنطقة العربية ولاسيما إلى الجزائر وليبيا والمغرب".

بطالة وهجرة
وأوضح رضوان بلخضر أن تظاهرة الجزائريين في برلين تهدف لإطلاع الرأي العام الألماني علي حقيقة ما يجري في الجزائر.

وأضاف أن المشاركين في هذه التظاهرة يؤيدون مطالب مواطنيهم في الوطن الأم في رفض القمع البوليسي، وتوفير فرص العيش الكريم والتمتع بالحرية خاصة حرية الإعلام والتعبير عن الرأي.

وأعرب عن استغرابه من أن دولة كالجزائر لديها أرصدة في البنوك العالمية تبلغ 170 مليار يورو من عائدات النفط والغاز، يعاني 30% من شبابها من البطالة، فيما تفضل أعداد كبيرة من متعلميها ومثقفيها الرحيل إلى الخارج حتي لو دفعهم ذلك إلى المخاطرة بحياتهم".

ورأى أن النظام الجزائري تصور خطأ أنه بإلقائه الفتات على المحتجين الشباب بين حين وآخر لإسكاتهم، فإن الشعب الجزائري المعروف بأنفته سيتقبل إهانة كرامته إلى ما لا نهاية.

وأشار بلخضر إلي أن صمت الغرب عما يجري في الجزائر اليوم دلَّ علي أن العواصم الغربية الباحثة فقط عن مصالحها تحب نفط العرب وثرواتهم وليس مساعدة هؤلاء علي إحداث تحول ديمقراطي حقيقي.

ورأي أن "المسؤولين الجزائريين لم يستقوا العبرة من رفض المستشارة الألمانية أنجيلا ميركل والرئيس الأميركي باراك أوباما فتح أبواب بلديهما لصديقي الأمس: زين العابدين بن علي وحسني مبارك بعد أن باتا مخلوعين".

Al Jazeera

Kabyle Offline



Beiträge: 451

13.02.2011 16:41
#3 RE: Protestmarsch in Algier Antworten

Hallo,

die Reaktion der Sicherheitskräfte gestern in Algier fand ich unfair, abgesehen von ihrer Unverhältnismäßigkeit. Eigentlich gibt es seit Jahren in verschiedenen Teilen des Landes fast wöchentlich kleine Unruhen, Demonstrationen und Streiks. Sie wurden nur weniger international mediatisiert. Nun seit den Ereignissen in Tunesien und Ägypten, stoßen in dieser Dynamik die Ereignisse in Algerien auf internationales Interesse.

Wir haben in unserem Forum oft Studien, Meinungen von Wissenschaftlern, Interviews postiert, die darauf deuteten, dass die Lage in Algerien prekär war und ist. Unter anderem in Thread „allgemein“ unter „Jugendliche in Algerien“, „Familie“ oder im Thread „Aktuelle News“ unter „Politik“ oder „der Segen des Erdöls ist Algeriens Fluch“, „Wirtschaft“ usw. ….konnte man die „Gebrechlichkeit“ des algerischen Systems deutlich erkennen.

Man muss vielleicht zuerst feststellen, dass der Großteil der (über 20 Jahre) algerischen Bevölkerung durch den Bürgerkrieg in den 90er Jahre noch traumatisiert ist. Es macht die Sache für sie heute nicht einfacher.

Ein der Hauptprobleme der algerischen Politik ist ihr riesiger Abstand zu ihrer Bevölkerung und die Verwendung einer „Fremdsprache“ in der seltenen Kommunikation mit ihren Bürgern, vor allem mit der Jugend. Solange die Meinung von Wissenschaftlern, vor allem im Falle Algeriens Humanwissenschaftlern, sich nur auf Bildungsanstalten beschränken oder im besten Falle ausschließlich als Meinungsfreiheit ohne konkrete Wirkung auf die Politik gelten, wird sich die Lage in Algerien, trotz des momentanen Reichtums, verschlechtern. Das Land braucht eine vermittelbare Gesamtvision mit sozialen Elementen, die vom Großteil der Bevölkerung mitgetragen wird.

Die jetzigen Großprojekte wirken wie Weihnachtsgeschenke, deren Sinn wie eine Alibiveranstaltung beim Großteil der Bevölkerung ankommt. Die meisten Bürger haben das Gefühl, man beginnt ein Haus zu dekorieren, bevor man es fertig gebaut hat.

Das zentralistische politische System macht die Sache nicht einfacher für die Regierenden. Unter dem Vorwand, man müsse die Einheit des Landes garantieren, scheinen die wenigen aktiven Politiker absolut überfordert zu sein und können kein Gesamtbild über die Problematik in Algerien haben, auch wenn sie es wollten. Die Strukturen müssen, aus meiner Sicht, verändert und erweitert werden, bevor man etwas unternimmt, wenn man überhaupt etwas unternehmen möchte.

Die Regierenden können nur im besten Falle von einem Feuerherd zum Anderen rennen. Unprofessioneller geht es nicht mehr.
Der algerische Staatspräsident mag bei einem Teil der Bevölkerung beliebt sein, eher jedoch in der Rolle ein lieber zerbrechlicher Grosvater in Rente, der einem erzählt (auch in Form vom Märchen), was er hören möchte. Manche mögen sich mit Märchen und Absichtserklärungen begnügen.
Ob diese Rolle für die Führung eines Landes, wie Algerien, mit ihren ganzen Problemen und ihren (meist hausgemachten)Fehlentwicklungen reichen würde, möchte ich bezweifeln.

Gruß und Salam

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