Im Schatten der Ereignisse in Tunesien und Ägypten und in der arabischen Welt
Präsident Bouteflika will Ausnahmezustand aufheben
Paris - Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika hat angekündigt, dass der seit 19 Jahren bestehende Ausnahmezustand 'in naher Zukunft' aufgehoben werde. Vor dem Hintergrund der Erschütterungen in Ägypten und im benachbarten Tunesien sagte der Präsident am Donnerstag während einer Kabinettssitzung ferner, das staatliche Monopol-Fernsehen und der Rundfunk sollten sich für die Parteien der Opposition weiter öffnen und mehr über sie berichten. Zugleich warnte Bouteflika, erweiterte Freiräume dürften 'unter keinen Umständen zum Abgleiten in die Anarchie führen'. Erstmals erwähnte Bouteflika die Proteste gegen Preiserhöhungen, bei denen in Algier zwischen dem 4. und 9.Januar fünf Menschen getötet und mehr als 800 verletzt wurden. Er betonte, er verneige sich vor dem Andenken der Opfer und sprach von 'bedauerlichen Auswüchsen'.
Für den 12. Februar haben Oppositionsparteien, Gewerkschaften, Studenten und Menschenrechtler eine Protestdemonstration angekündigt, an der sie trotz Verbot festhalten wollen. Demonstrationen in der Hauptstadt bleiben untersagt, wie Vizepräsident Yazid Zerhouni erneut hervorhob. An anderen Orten sind sie jedoch gestattet. Bei Banken und Krankenhäusern finden derzeit Streiks statt, und die Stimmung im Lande ist gespannt.
Der französische Algerien-Spezialist Benjamin Stora bezeichnete Bouteflikas Ankündigung als Antwort auf die ägyptischen und tunesischen Ereignisse. 'Die algerischen Regenten wollen die Kurve kriegen und Protesten des Volkes wie im Jemen zuvorkommen. Sonst hätten sie nie geträumt, den Ausnahmezustand aufzuheben.' Ferner wolle das Regime dem geplanten Protestmarsch zuvorkommen, denn das Ende des Ausnahmezustands sei eine der Forderungen der Opposition. Bisher hätten die Machthaber stets damit argumentiert, es bestehe nur die Wahl zwischen Geheimdiensten und Islamisten. 'Aber die große Lehre aus der jetzigen arabischen Unruhe ist das Entstehen einer demokratischen Bewegung, die nicht islamistisch ist.'
Ein früheres Führungsmitglied der verbotenen Islamischen Rettungsfront FIS, Abdallah Anas, sagte im Exil: 'Gemessen an dem, was das algerische Volk will, ist das bei weitem nicht genug.' Die Algerier wollten Redefreiheit und Aufhebung der Sperren für die Zulassung neuer Parteien. Als 'bedeutungslos' kritisierte es Anas, Protestmärsche in anderen Städten zu erlauben und sie in der Hauptstadt zu verbieten. Einer der Organisatoren des Marsches, Fodil Boumala, sprach die Befürchtung aus, Bouteflikas Ankündigung sei nur eine List, mit der das Regime Zeit gewinnen wolle. Die wichtigsten Probleme würden aber umgangen.
Der Ausnahmezustand wurde 1992 verhängt, als sich eine klarer Wahlsieg der islamistischen FIS in den einzigen freien Parlamentswahlen abzeichnete, die Algerien je hatte. Die Verdrängung der Islamisten in den Untergrund und der nachfolgende Bürgerkrieg forderten während der neunziger Jahre zwischen 150 000 und 170 000 Tote.