50 Jahre nach Atomtest in Algerien Kontaminiertes Verhältnis
13.02.2010
Süddeutsche Zeitung Von Stefan Ulrich, Paris
Operation "Blaue Wüstenspringmaus": 1960 testete Frankreich in seiner Kolonie Algerien eine Atombombe - bis heute sind die Beziehungen schwierig.
An diesem Samstag vor einem halben Jahrhundert lief in den Weiten der algerischen Sahara unter Blitz und Donnerkrachen die Operation "Blaue Wüstenspringmaus" ab. Die Franzosen zündeten in ihrer damaligen Kolonie zum Test ihre erste Atombombe.
Was für Frankreich den Sprung in den Kreis der Nuklearmächte symbolisiert, ist für Algerien ein Sinnbild kolonialen Unrechts. Zum 50. Jahrestag des Atomtests betonen algerische Opferverbände, die Region im Süden des Landes sei damals starker Strahlung ausgesetzt worden. Diese dauere an. Viele Kinder kämen mit Missbildungen zur Welt, viele Menschen hätten Krebs. Frankreich habe die verseuchten Gebiete nie ernsthaft dekontaminiert und versuche, die Opfer "mit ein paar Sous" abzufinden.
Die Auseinandersetzung um "Blaue Wüstenspringmaus" ist bezeichnend für das störanfällige Verhältnis zwischen beiden Staaten. Algerien war von 1830 bis 1962 französische Kolonie und konnte sich die Unabhängigkeit erst nach jahrelangem Krieg erkämpfen. Seitdem besteht zwischen beiden Ländern eine Beziehung, die als Hassliebe beschrieben wird. Algier fordert seit Jahren eine Entschuldigung für koloniales Unrecht und reagiert sehr empfindlich auf vermeintliche Provokationen aus Paris.
Jüngstes Beispiel: Die Franzosen billigten eine "schwarze Liste" der US-Regierung mit Problemländern, deren Staatsangehörige im Flugverkehr besonders scharf kontrolliert werden. Darauf stehen Staaten wie der Irak, Somalia, Afghanistan - und Algerien. Die Regierung in Algier empfindet dies als Beleidigung. Das Parlament legte eine geplante algerisch-französische Parlamentarierkommission auf Eis. "Wie kann Algerien zu den Ländern zählen, die den Terrorismus bekämpfen, und zugleich auf einer Liste von Ländern landen, deren Bürger besonderen Kontrollen unterworfen werden?", protestiert Parlamentspräsident Abdelaziz Ziari. Ein Gipfeltreffen der beiden Präsidenten Abdelaziz Bouteflika und Nicolas Sarkozy, das eigentlich schon für 2009 anvisiert war, scheint in weitere Ferne zu rücken.
Die derzeitige Spannungsperiode im bilateralen Verhältnis geht auf das Jahr 2005 zurück. Damals verabschiedete das französische Parlament ein Gesetz, in dem die "positive Rolle" der französischen Kolonialpräsenz in Nordafrika hervorgehoben wurde. Zwar wurde der Artikel rasch wieder gestrichen, aber seitdem häufen sich algerische Forderungen nach einer "offiziellen Entschuldigung" für koloniale Verbrechen. Bouteflika sprach sogar von Völkermord. Sarkozy bezeichnete die Kolonialisierung zwar als "von Natur aus ungerecht" und "großen Fehler". Das aber genügt den Algeriern nicht. Sie werden mit dem Thema auch künftig Druck auf Frankreich ausüben.
So unterstützt eine Gruppe von 125 algerischen Abgeordneten einen Gesetzesvorschlag, der die französische Kolonialherrschaft zum Verbrechen erklärt. Die Abgeordneten fordern, "Sondertribunale zu schaffen, um die Verantwortlichen für koloniale Verbrechen abzuurteilen". Auch wird angeregt, solche Fälle vor die internationalen Strafgerichte zu bringen. Die französische Regierung bezeichnete den Vorstoß diese Woche als "übertrieben" und "unverständlich" und bezweifelte, dass Algerien ein solches Gesetz in Kraft setzen wird.
All diesen Streitpunkten zum Trotz - einen Bruch will keines der beiden Länder. Dazu sind Algerien und Frankreich zu sehr miteinander verknüpft. Die Wirtschaftsbeziehungen sind eng, und in Frankreich leben viele Menschen, die aus Algerien stammen. Daher ist es nicht überraschend, dass die französische Nationalversammlung jetzt mitten in die Spannungen hinein ein versöhnliches Zeichen setzte. Sie billigte am Dienstag ein französisch-algerisches Partnerschaftsabkommen, das die Zusammenarbeit in Wissenschaft, Technik und Kultur, aber auch in Sicherheitsfragen stärken soll. Paris möchte außerdem eine "Stiftung zur Erinnerung an den Algerienkrieg" schaffen.
Die jüngsten Ereignisse zeigten, wie nötig das sei, sagte Verteidigungs- und Veteranen-Staatssekretär Hubert Falco. "Es ist Zeit, offen über diesen immer noch tabuisierten Abschnitt der Geschichte zu sprechen." Die Stiftung werde allen offenstehen, den französischen Veteranen, den nach Frankreich zurückgekehrten Algerienfranzosen, den muslimischen Hilfstruppen Frankreichs im Algerienkrieg, den damaligen algerischen Unabhängigkeitskämpfern und auch dem algerischen Staat. Als ermutigendes Beispiel wird in Paris ein historisches Erfolgsprojekt genannt: die deutsch-französische Versöhnung.